Schaltwirbel (Übergangswirbel) im Kreuz-Lendenbereich

Sind sie verantwortlich für Rückenschmerzen (Cauda equina Syndrom) ?

Besitzer berichten immer wieder von Hunden, die aufschreien, wenn sie ins Auto springen, eine Treppe hochsteigen oder bei der Mannarbeit den Piqueur anspringen. Anschliessend lahmen sie für kürzere oder längere Zeit. Die Ursache kann ein sogenanntes Cauda equina Syndrom (CES) oder eine degenerative lmbosakralen Stenose (DLSS) sein.

Darunter verstehen wir ein Einklemmen und eine Entzündung von Nerven vor dem Kreuzbein. Im Volksmund wird dieses Phänomen treffend als Hexenschuss umschrieben. Die Beschwerden können in verschiedenen Schweregraden und Formen auftreten, je nach dem, welche Nerven und wie stark sie betroffen sind. Beschrieben werden:

  • Schmerz im Kreuz-Lendenbereich, v.a. Schmerzen beim Strecken der Hüftgelenke oder beim Hochbiegen des Schwanzes,
  • Lahmheit an einem oder an beiden Hinterbeinen,
  • Empfindungsstörungen in den Hinterbeinen, am Schwanz oder um den After,
  • Muskelschwund an der Hinterhand,
  • verminderte oder fehlende Reflexe der Hinterhand,
  • in schweren Fällen sogar unkontrollierter Absatz von Harn oder von Kot.

Der Verdacht eines CES wird durch die klinische Untersuchung beim Tierarzt gestellt und kann durch eine Computertomographie (CT) oder eine Magnetresonanztomograpgie (MRT) erhärtet werden. Mit einer Röntgenaufnahme allein lässt sich die Diagnose nicht stellen, da im Röntgenbild weder die Nerven noch der Grund der Kompression selber nicht erkennbar sind.

Nicht selten weisen betroffene Hunde zwischen Lende und Kreuzbein einen missgebildeten Wirbel, einen so genannten Schaltwirbel oder Übergangswirbel auf. Gemäss Literatur können sie beim Hund ein CES begünstigen. Der Grund ist vermutlich eine Degeneration der Zwischenwirbelscheibe zwischen Lendenwirbelsäule und Übergangswirbel und als Folge davon ein Schädigung von Rückenmarksnerven, welche dort austreten. Damit stellt sich eine Vielzahl von Fragen:

  • Wie häufig kommen derartige Schaltwirbel bei Rassehunden vor?
  • Bestehen unterschiedliche Formen?
  • Treten sie in gewissen Rassen gehäuft auf?
  • Bestehen Unterschiede zwischen Rüden und Hündinnen?
  • Werden sie vererbt oder wenn ja, wie?
  • Besteht wirklich ein Zusammenhang zwischen Schaltwirbeln und CES?

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden die Röntgenbilder von 4000 Hunden aus 144 verschiedenen Rassen aus dem Fundus der Dysplasie-Kommission Zürich nachuntersucht.

Zuerst aber einige Informationen zur Anatomie der Wirbelsäule. Diese besteht aus einzelnen knöchernen Wirbeln, die je nach Körperregion unterschiedlich geformt sind. Zwischen den Wirbelkörpern liegt eine Zwischenwirbelscheibe (Diskus). Kleine Wirbelgelenke am Wirbelbogen verbinden die Wirbelkörper untereinander. Eine Besonderheit bildet das Kreuzbein, das aus 3 miteinander verwachsenen Wirbeln besteht. Es verbindet die Wirbelsäule mit dem Becken (Abb. 1). Ein Schaltwirbel ist ein missgebildeter Wirbel zwischen der Lendenwirbelsäule und dem Kreuzbein. Er zeigt Eigenschaften von beiden Wirbelsäulenabschnitten (Abb. 2). Schaltwirbel werden bei vielen Tierarten und auch beim Menschen beschrieben. Von den 4000 untersuchten Hunden wiesen 138 oder rund 3.5 % einen Schaltwirbel auf. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Häufigkeit in den verschiedenen Rassen (Tab. 1). Ein gehäuftes Auftreten war beim Deutschen Schäferhund und beim Grossen Schweizer Sennenhund zu finden. Extrem häufig kam die Veränderung bei den 26 Shar-Pei vor, wo jeder 5. Hund betroffen war. In Tabelle 1 sind nur Rassen gelistet, von denen mindestens 50 Hunde untersucht werden konnten. Eher selten waren Schaltwirbel bei Golden und Labrador Retriever, und überhaupt nicht zu finden waren sie beim Appenzeller Sennenhund und beim Tervueren. Gemäss neusten Daten kommen sie aber auch bei diesen beiden Rassen vor. Das gehäufte Auftreten in einzelnen Rassen deutet auf eine erbliche Veranlagung hin. Allerdings sind im Moment weder der Erbgang noch die Heritabilität (d.h. der Einfluss der Gene auf das Auftreten und die Form eines Schaltwirbels) bekannt. Ein Unterschied in der Häufigkeit zwischen Rüden und Hündinnen war nicht festzustellen.

Abb. 1.: Anatomie (normal)Abb. 1.: Anatomie (normal)

Schaltwirbel können unterschiedlich missgebildet sein. Der auffälligste Unterschied besteht in der Form der Querfortsätze. Wir unterscheiden 3 Typen, nämlich den

  • lumbalen oder freien, normalen Querfortsatz ohne Verbindung zum Becken,
  • intermediären oder teilweise mit dem Becken verbunden Querfortsatz und den
  • sakralen oder vollständig mit dem Becken verbundenen Querfortsatz.

Schaltwirbel, welche rechts und links denselben Querfortsatztyp trugen, werden als symmetrische, solche mit unterschiedlichen Fortsätzen, als asymmetrische Schaltwirbel bezeichnet. Symmetrische und asymmetrische traten praktisch gleich häufig auf (Abb. 2)

Abb. 2.: Lumbosakraler ÜbergangswirbelAbb. 2.: Lumbosakraler Übergangswirbel

Das Archiv des Tierspitals Zürich wurde darauf nach Hunden mit CES durchforstet. Von den 92 Hunden mit nachgewiesenem CES wiesen 15 (16.3 %) einen Schaltwirbel auf. Die Stelle der Nervenschädigung lag stets zwischen dem letztem echten Lendenwirbel und dem Schaltwirbel. Hunde mit Schaltwirbel haben somit ein 5 Mal höheres Risiko für CES als Hunde ohne Schaltwirbel. 12 der 15 CES Hunde mit Schaltwirbel wiesen einen symmetrischen Schaltwirbel auf. Eine ähnliche Verteilung der Schaltwirbel-Typen finden wir auch bei den 4000 klinisch unauffälligen Hunden der HD-Gruppe. Die Form der seitlichen Fortsätze spielt somit für die Entstehung von CES keine wesentliche Rolle.

Das Durchschnittsalter der CES-Hunde mit Schaltwirbel lag bei knapp 5 Jahren, bei jenen ohne Schaltwirbel bei rund 6 ½ Jahren. Hunde mit einem Schaltwirbel erkranken somit ein bis zwei Jahre früher am CES, als solche ohne Schaltwirbel. Wir vermuten, dass die Fehlbildung zu einem vorzeitigen Verschleiss des Diskus zwischen Lende und Schaltwirbel führt. Ähnliche Beobachtungen wurden auch beim Menschen gemacht, wo Schaltwirbel zu Verengung des Wirbelkanals und der Nervenwurzelkanals, zu Arthrose der kleinen Wirbelgelenke und zu Diskusdegeneration unmittelbar kopfwärts des Schaltwirbels führen können.

Ob ein Schaltwirbel vererbt wird, können wir an Hand unserer Daten weder beweisen noch verwerfen, die Verwandtschaft der untersuchten Hunde ist nicht eng genug. Die unterschiedliche Häufung von Schaltwirbeln bei den verschiedenen Rassen und das gelegentliche Auftreten von mehreren Hunden mit Schaltwirbeln im selben Wurf lässt aber die Vermutung aufkommen, dass Schaltwirbel erblich beeinflusst werden. Wenn sich unser Verdacht bestätigt, dass für das Auftreten eines Schaltwirbels eine genetische Veranlagung besteht, sollten Hunde mit Schaltwirbeln nicht zur Zucht verwendet werden. Es ist auch nicht ratsam, einen Hund mit einem Schaltwirbel einer teuren und zeitaufwendigen Ausbildung zu unterziehen, da er ein höheres Risiko hat, wegen einem CES vorzeitig aus der Arbeit auszuscheiden.

Übergangswirbel (Schaltwirbel) – Wie beeinflussen sie die Entwicklung der Hüftgelenke ?

Bei der Untersuchung auf Hüftgelenksdysplasie (HD) finden sich immer wieder Hunde, bei denen zwischen Lende und Kreuz ein missgebildeter Wirbel auftritt. Die Missbildung zeigt sich v.a. in unterschiedlichen Querfortsätzen. Diese können einseitig oder beidseitig verformt sein und unterschiedlich Kontakt mit dem Becken haben. Zusätzlich kann die Verbindung zwischen Wirbelsäule und Becken auf einer Seite verschoben oder verkürzt sein. Der verformte Wirbel wird als Schaltwirbel oder Übergangswirbel bezeichnet. Bei einigen dieser Hunde sind auch die beiden Hüftgelenke nicht gleich ausgebildet. Abbildung 1 zeigt die normale Anatomie der Hüftgelenke und des Überganges zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein, Abbildung 2 einen asymmetrischen Schaltwirbel und eine unterschiedliche HD-Ausprägung links - rechts.

Aus genetischer Sicht sollten beide Hüftgelenke gleich ausgebildet werden, auch Umwelteinflüsse wie die Fütterung des Hundes sollten keinen Einfluss haben. Höchstens eine frühere Verletzung oder eine chronische Überbelastung des einen Hüftgelenks könnten diesen Befund erklären. Es stellt sich deshalb die Frage, ob der Schaltwirbel für die ungleiche Entwicklung der Hüftgelenke verantwortlich sein kann. Dazu wurden die Röntgenbilder von 4000 zufällig ausgewählten Hunden aus dem Bilderfundus der HD-Kommission Zürich untersucht. Insbesondere nachgegangen wurde folgenden Fragen:

  1. Wie viele Hunde weisen einen Schaltwirbel auf?
  2. Wie stark unterscheiden sich die beiden Hüftgelenke bezüglich HD im Durchschnitt bei Hunden ohne und solchen mit Schaltwirbel?
  3. Wie ist der Unterschied zu erklären?
  4. Kann ein Hund mit Schaltwirbel zur Zucht eingesetzt werden?

Von den 4000 Hunden aus 144 verschiedenen Rassen wiesen 138 oder knapp 3.5% einen Schaltwirbel auf. Je nach Rasse variierte die Häufigkeit zwischen 0 und 19 %.

Die Hüftgelenke der Hunde ohne Schaltwirbel waren rechts und links mehrheitlich gleichartig ausgebildet und zwar sowohl bei Hunden mit normalen wie auch dysplastischen Gelenken. Die Gelenke unterschieden sich im Durchschnitt lediglich um 1/10 HD-Grad.

Ein anderes Bild zeigte sich bei den 138 Hunden mit Schaltwirbel. Bei den 68 Hunden mit einem symmetrischen, also auf beiden Seiten gleichartig fehlbebildeten Schaltwirbel bestand in der Regel ebenfalls kein Unterschied im HD Grad zwischen rechtem und linkem Hüftgelenk. Die vereinzelt beobachtete Differenz im HD-Grad war meistens auf eine Lockerheit der Hüftgelenke, die sich unterschiedlich stark darstellte, oder auf ein verkipptes Becken während dem Röntgen zurückzuführen. Bei den 48 Hunden mit einem asymmetrischen Schaltwirbel hingegen zeigten die 33 Hunde mit einem leicht asymmetrischen Schaltwirbel bereits eine Unterschied zwischen den beiden Hüftgelenken von durchschnittlich einem halben HD-Grad. Bei den 15 Hunden mit ausgeprägt asymmetrischem Schaltwirbel war der Unterschied mit 1 bis 2 HD-Graden stärker ausgebildet. Beim schlechteren Gelenk waren eine ungenügende Pfannentiefe und eine übermässigen Lockerheit auffällig. Gleichzeitig war häufig das Becken um seine Längsachse gekippt, meistens verbunden mit einem Beckenhochstand auf jener Seite, wo der Schaltwirbel den stärkeren Beckenkontakt zeigte.

Die Verkippung des Beckens erklärt die unterschiedliche Ausformung der beiden Hüftgelenke.

Als Folge davon rutscht der eine Oberschenkelkopf etwas aus der Pfanne,  diese wird an ihrem Rand übermässig belastet und bildet sich nicht richtig aus, das Hüftgelenk wird dysplastisch. Auf der Gegenseite hingegen bleibt der Kopf tief in der Pfanne sitzen, es bildet sich ein gutes Hüftgelenk aus. Dieser Einfluss der Beckenstellung auf die Entwicklung des Hüftgelenks wird übrigens bei Hunden mit lockeren, aber noch arthrosefreien Hüftgelenken therapeutisch genutzt in der Methode der Beckenschwenk-Osteotomie oder Tripel-Pelvic-Osteotomy. Bei einem Hund mit einem asymmetrischen Übergangswirbel und einer Neigung zu HD entwickeln sich wegen der unterschiedlichen Überdachung verschieden schwere HD-Grade. Der Gutachter kann aber nicht unterscheiden, ob ein Hund wegen seiner Beckenschiefstellung oder seiner genetischen Veranlagung eine HD ausgebildet. Wir bewerten deshalb die Hüftgelenke eines Hundes mit einem Schaltwirbel genau gleich wie jene eines Hund ohne Schaltwirbel, obwohl möglicherweise nicht eine genetisch bedingte HD vorliegt.

Hunde mit einem Schaltwirbel zur Zucht zu verwenden, ist nicht risikolos. Da Schaltwirbel nur bei rund 3.5% aller Hunde auftreten und von diesen nur die asymmetrischen HD-gefährdet sind, verbleiben bloss 1.2% der untersuchten Hunde als Risikogruppe. Dieser geringe Aderlass ist in den meisten Rassen problemlos zu verkraften. Bei jenen Rassen, bei denen mehr Hunde von einem asymmetrischen Schaltwirbel betroffen sind, sollte der Zuchteinsatz individuell abgeklärt werden. Offen bleibt die Frage, ob Hunde mit einem Schaltwirbel grundsätzlich zur Zucht gesperrt werden sollten, da sie eine Missbildung aufweisen, von der wir vermuten, dass sie eine genetische Grundlage hat und die gehäuft zum Krankheitsbild der Cauda equina Kompression führt.

GRSK. e.V.

Prof. Mark Flückiger, Dr. Natascha Damur-Djuric, Prof. Joe Morgan, Prof. Michael Hässig und PD Dr. Frank Steffen, Vetsuisse Fakultät der Universität Zürich, Schweiz

Dieser Artikel ist ein Teil der Dissertationsarbeit von Frau Dr. Damur-Djuric. Die Studie wurde freundlicherweise von der Albert Heim Stiftung finanziell unterstützt.